Vor 100 Jahren wurde das "Heilige Experiment" gestartet
Ein Kurzer Abriss zur Gründungsgeschichte der Missionsärztlichen Schwestern *
„Es braucht eine religiöse Gemeinschaft, die sich dem Ziel verpflichtet, medizinisch ausgebildete Schwestern in die Missionen zu schicken.“ Diese Antwort Anna Dengels auf die an sie gerichtete Frage – „Was glauben Sie ist nötig, um eine katholische ärztliche Mission in einem Land wie Indien zu ermöglichen?“ – führte zur Verwirklichung ihres Planes, speziell Frauen und Kinder in Indien eine bessere medizinische Versorgung anbieten zu können. Und damit zur Gründung der Missionsärztlichen Schwestern vor 100 Jahren. Berufung Rund drei Jahre lang war die junge Ärztin Anna Dengel aus Österreich Anfang der 1920er-Jahre im indischen Rawalpindi im Einsatz (siehe Leben im Detail) Die Arbeit war für Anna körperlich wie auch geistig sehr aufreibend. Denn sie erlebte dabei auch viel Leid, da aufgrund religiöser und kultureller Bräuche Frauen eine richtige ärztliche Betreuung, weil meist von Männern erbracht, verwehrt blieb. Ärztinnen jedoch waren in Indien damals praktisch kaum vorhanden. Völlig erschöpft von der vielen Arbeit sowie geplagt von einer „tiefen inneren Dunkelheit“ und Zweifeln daran, ob sie wirklich schon den richtigen Weg gefunden habe, auf den sie Gott führen wollte, kehrte Anna im Frühjahr 1924 in ihre Tiroler Heimat zurück. Noch in Rawalpindi hatte Annas Beichtvater ihr geraten, doch einem Missionsorden beizutreten, denn sie verspüre offensichtlich die Berufung zu einem geistlichen Leben in sich. Was Anna jedoch in Konflikt mit ihrer ebenfalls gefühlten Berufung als Ärztin brachte. Denn seit dem Jahr 1215 galt das kirchliche Verbot, dass jene Personen, die öffentliche Gelübde ablegen – wie beispielsweise Ordensleute – keine ärztlichen Tätigkeiten ausüben dürfen. In der Heimat reifte bei Anna der Entschluss heran – speziell nach den absolvierten Exerzitien bei Jesuitenpater Rochus Rimmel in Innsbruck – statt dem Eintritt in einen Orden selbst trotz des Verbotes eine eigene Gemeinschaft zu gründen. Die Chance, ein solches Projekt umzusetzen, hielt Anna nach Rat ihrer Unterstützerin Pauline Willis (Sekretärin des „Medical Mission Committee“ in London) eher in Amerika für möglich, denn im noch unter den Folgen des 1. Weltkriegs leidenden Europa. Ende Oktober 1924 reiste sie deshalb in die USA und bewarb ihr Anliegen bei Vortragstouren in Boston, New York, Philadelphia und Washington. Sie traf sich und sprach zudem mit vielen Menschen, darunter Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe. Unterstützer In der US-Hauptstadt begegnete sie im Frühjahr 1925 schließlich erneut Pater Michael Mathis, dem Kanonischen Visitator der Heilig-Kreuz-Mission in Bengalen, Indien. Dieser hatte gerade eine herbe Enttäuschung erlitten: die von ihm wegen des eklatanten Mangels an ausgebildetem Personal in ein indisches Krankenhaus entsandten vier amerikanischen Krankenschwestern wollten nach Hause. Weil die an sie gestellten Anforderungen in Indien einfach zu groß waren und es niemanden gab, der ihnen beistand. Anna Dengels eingangs zitierte Antwort auf die verzweifelte Frage von Pater Mathis ließ diesen jetzt erkennen, welche große Chancen ihr Ansinnen für die Kirche bot – und er versprach volle Unterstützung bei der Verwirklichung ihres Planes zur Neugründung einer religiösen Gemeinschaft. Kirchliche Genehmigung Ausgerüstet mit einer Vorlage von Pater Mathis, verfasste Anna eine für die kirchliche Genehmigung erforderliche Konstitution. Der dafür zuständige Erzbischof von Baltimore, zu dessen Bistum damals Washington D.C. gehörte, genehmigte schließlich am 10. Juni 1925 die Gründung der „Society of Catholic Medical Missionaries“. Die neue Gemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern musste kirchenrechtlich jedoch als „Pia unio“ (fromme Gemeinschaft) geführt werden. Deren Mitglieder verpflichteten sich zwar für ein gemeinsames Ziel – verbunden mit Grundsätzen wie Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam – legten aber kein öffentliches Gelübde ab und waren somit kirchenrechtlich keine Ordensgemeinschaft. Ein „Trick“, der das Verbot der medizinischen Tätigkeit praktisch umging. Anna Dengel schrieb dazu in einem Brief an den Kardinal von Philadelphia: „Unsere Konstitution wurde unter der Voraussetzung erstellt, dass Rom die ganze Ausübung des Arztberufes jenen Personen, die öffentlich Gelübde ablegen, nicht gestattet – aber doch in der Hoffnung, dass dies einmal gewährt wird. … Wir müssen frei sein, um jedes Fachgebiet des ärztlichen Berufes auszuüben, um den Menschen im Osten in jeder medizinischen Not zu helfen …“ Offizieller Gründungstag Der offizielle Beginn der Missionsärztlichen Schwestern fand am 30. September 1925 statt, in einem über Vermittlung von Pater Mathis im Washingtoner Stadtteil Brookland zur Verfügung gestellten, etwas desolatem Haus. Gründerin Anna Dengel hatte zuvor, ebenfalls unter Mithilfe von Pater Mathis, drei weitere Mitglieder für ihre Gemeinschaft gewinnen können: die aus Chicago stammende Ärztin Dr. Johanna Lyons sowie die aus Brooklyn und Iowa kommenden diplomierten Krankenschwestern Agnes Marie Ulbrich und Maria Laetitia Flieger. Die vier Frauen feierten den Beginn ihres in der Diözese als das „Heilige Experiment“ bezeichnete Unterfangen in einem zur Kapelle umfunktionierten Zimmer. Als erste einheitliche Kleidung hatten sich die Schwestern damals für ein graues Kleid mit weißem Kragen sowie einen dunklen Hut für besonder Anlässe entschieden. Keine der Frauen konnte sich wohl an diesem ersten Tag vorstellen, dass sie schon wenige Jahre später weltweit ihrer missionsärztlichen Tätigkeit nachgehen würden. Anna Dengel – beim 1. Generalkapitel der Gemeinschaft 1926 zu Generaloberin gewählt – hielt zunächst die Stellung in Washington. Unermüdlich warb sie in der Öffentlichkeit für ihre Gemeinschaft, um Mitglieder zu erhalten. Daneben sorgte sie sich um die Beschaffung der notwendigen Geldmittel für alle ihre Planungen. Angesichts ihrer erfolgreichen Aktivitäten würde man die ausgezeichnete Ärztin Anna Dengel heutzutage wohl auch als geniale „Marketing- und Fundraising-Expertin“ bezeichnen. Ihre Kollegin Johanna Lyons reiste im Herbst 1926 nach Indien und übernahm in Rawalpindi die Leitung des St.-Katharinen-Spitals, jenes Krankenhaus, in dem Anna ihr ärztliches Wirken begonnen hatte. Die beiden Krankenschwestern folgten kurze Zeit darauf. Knapp ein Jahr später konnte Dank der aufgestellten Spendengelder das erste neu errichtete „Holy Family Hospital“ der MMS im Einheimischenviertel von Rawalpindi eröffnet werden. In die Welt hinaus In den nächsten Jahren initiierten die Schwestern in Indien weitere Krankenhäuser, Mutter-Kind-Zentren sowie Ausbildungsstätten für Krankenpflegerinnen. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte dehnten die MMS ihr Wirkungsfeld auf viele andere Länder in Asien, Afrika und Südamerika aus. Laut einer internen Auflistung gab es im Jahr 1962 insgesamt 47 Niederlassungen in 18 Ländern, 29 Spitäler in Missionsländern, 5 Studienhäuser und 8 Noviziate – und weit über 700 Medical Mission-Sisters. Ein Höchststand, der in den nachfolgenden Jahrzehnten langsam wieder zu sinken begann. Das rasante Wachstum hatte immer wieder für Kritik und so manchen Austritt aus der Gemeinschaft gesorgt. Oft wegen der vielerorts einfach zu großen Arbeitsbelastung. In der heutigen Zeit hat sich die Menge der Mitglieder auf relativ konstant bleibende Zahl von rund 500 eingependelt (siehe unter MMS heute) Als Orden anerkannt Anna Dengels Hartnäckigkeit hatte sicher ihre Wirkung auf eine „Kehrtwende Roms“ und dem Abschied von jenem uralten, von der Zeit längst überholten Kirchenverbot. Im Februar 1936 erfolgte das päpstliche Dekret „Constans ac sedula“, mit dem Ordensfrauen erlaubt wurde, in den Bereichen Geburtshilfe und Chirurgie medizinisch tätig zu sein. Damit stand für die „fromme Gemeinschaft“ der Missionsärztlichen Schwestern endlich der Weg offen, eine Kongregation mit voller kirchlicher Anerkennung zu werden. Was tatsächlich im Jahr 1941 geschah. Am 15. August dieses Jahres legten die Mitglieder der nun als Orden anerkannten Missionsärztlichen Schwestern öffentlich ihr ewiges Gelübde ab.
* alles Detailwissen zur Gründungsgeschichte der Missionsärztlichen Schwestern ist der von den Freunden Anna Dengel initiierten Biografie über Anna Dengel „Das Unmögliche wagen“ von Ingeborg Schödl (erschienen 2014) entnommen.